Wandel der Organisationsformen
Grenzen der Modulalisierung
Definition der Ganzheitlichkeit
Der gemeinsame Grundgedanke einer Reorganisation der Wertschöpfungskette durch Bildung
von „Modulen“, „Segmenten“ oder „Fraktalen“, lässt sich wie folgt zusammenfassen:
Modularisierung bedeutet eine Restrukturierung der Unternehmensorganisation auf der Basis
integrierter, kundenorientierter Prozesse in relativ kleine, überschaubare Einheiten (Module).
Diese zeichnen sich durch dezentrale Entscheidungskompetenz und Ergebnisverantwortung
aus, wobei die Koordination zwischen den Modulen verstärkt durch nicht-hierarchische
Koordinationsformen erfolgt. Dieser Grundgedanke der Modularisierungskonzepte kommt auf
verschiedenen Unternehmensebenen zur Anwendung: von der Modularisierung auf Ebene der
Arbeitsorganisation durch Bildung autonomer Gruppen bis zur Aufgliederung des
Gesamtunternehmens in weitgehend unabhängige Profit-Center. Die Aufgliederung der
Unternehmung in Module zielt darauf ab, die Komplexität der Leistungserstellung zu
reduzieren und die Nähe zum Markt zu erhöhen. Das modularisierte Unternehmen soll damit
schneller und flexibler auf Marktveränderungen, Kundenwünsche und Aktionen der
Wettbewerber reagieren können.
Restrukturierung der Unternehmensorganisation: Die Modularisierung ist eine intraorganisationale
Reorganisationsform. Damit unterscheidet sie sich von Organisationsformen,
die Kooperationsbeziehungen zwischen verschiedenen Unternehmen bzw. Unternehmenseinheiten
betrachten (interorganisationale Perspektive).
Prozeßorientierung: Die Ausrichtung von Organisationseinheiten an Prozessen, d.h. an Ketten
zusammenhängender Aktivitäten zur Erstellung eines Produkts oder einer Dienstleistung,
steht vor allem im Gegensatz zur überwiegend funktionalen bzw. verrichtungsorientierten
Arbeitsteilung bisheriger Organisationskonzepte, die primär auf eine Produktivitätsoptimierung der
einzelnen Unternehmensbereiche durch Spezialisierung abzielen (vgl. Picot
& Franck, 1995). Vorrangiges Ziel der prozessorientierten Ansätze ist die Reduktion
organisatorischer Schnittstellen im Leistungsprozess. Schnittstellenprobleme, wie z.B.
Kommunikationsbarrieren, Zielkonflikte oder Liegezeiten an den Grenzen zwischen
Funktionalabteilungen sind in den letzten Jahren als eine der wichtigsten organisatorischen
Ursachen für mangelhafte Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen erkannt worden (vgl. auch
Reichwald & Sachenbacher, 1996).
Kundenorientierung: Mit der durchgängigen Ausrichtung der Module auf die Zielobjekte der
betrieblichen Aktivitäten - interne wie externe Produkte - ist untrennbar eine Betonung der
Kundenorientierung verbunden. Diese ergibt sich aus der zentralen Rolle des Abnehmers bei
der Definition der Anforderungen an die Leistung und damit an den Prozess. Durch die
Erweiterung der Perspektive auf interne Produkte und Prozesse ergibt sich eine Ausweitung
des Kundenbegriffes auch auf interne Abnehmer von Zwischenleistungen.
Integriertheit der Aufgaben: Direkt verbunden mit der Prozess- und Kundenorientierung ist die
Forderung nach einer weitgehenden Integriertheit bzw. Abgeschlossenheit der in einem Modul
zusammengefassten Aufgaben. Diese Forderung ergibt sich unmittelbar aus dem Ansatz der
Prozessorientierung, möglichst alle zusammengehörigen Aktivitäten zur Erstellung eines
(Zwischen-) Produkts in einer Organisationseinheit zu integrieren. Die Mindestgröße eines
Moduls ergibt sich damit aus den Prozessschritten für ein klar definierbares Zwischenprodukt.
Problematisch ist hierbei allerdings, dass - je nach Aufgabe - das aus Prozesssicht sinnvolle
Maß an Aufgabenintegration entlang der Wertschöpfungskette zu hoch sein kann. Dadurch
können die Grenzen der Beherrschbarkeit durch eine „kleine Einheit“ (im Sinne obiger
Definition von Modularisierung) überschritten werden.
Bildung kleiner Einheiten: Handelt es sich bei der Prozessorientierung um ein Merkmal,
welches heutige Modularisierungsansätze mit fast allen aktuellen Reorganisationsansätzen
gemeinsam haben, so kann die Bildung kleiner Organisationseinheiten als der eigentliche
Kerngedanke der Modularisierung bezeichnet werden. Zielsetzung ist es dabei, die
Organisationstruktur an die Problemlösungskapazität des Menschen bzw. einer kleinen,
überschaubaren Gruppe von Menschen anzupassen. Damit sollen insbesondere
komplexitätsbedingte Fehler, Kosten und Zeitverluste vermieden werden. Damit ergibt sich
neben der oben angesprochenen Forderung nach Abgeschlossenheit der Aufgaben in einem
Modul eine zweite Grundforderung an die Modulbildung: Der Umfang und die Komplexität
der einem Modul zugeordneten Aufgaben muss den Möglichkeiten des Menschen (bzw. der
Gruppe) als dispositivem und ausführendem Faktor entsprechen.
Dezentrale Entscheidungskompetenz und Ergebnisverantwortung: Eine weitere
charakteristische Gemeinsamkeit der Modularisierungskonzepte ist die Verlagerung von
Entscheidungskompetenz und Ergebnisverantwortung in die Module. Das konkrete Ausmaß
dieser Reintegration dispositiver und administrativer Aufgaben hängt dabei von der
Betrachtungsebene und der Aufgabenstellung ab. Grundsätzlich wird jedoch das
Subsidiaritätsprinzip als Richtlinie für die Dezentralisierung von Managementfunktionen
befolgt (vgl. Picot, 1991): Entscheidungskompetenz und Ergebnisverantwortung sollen in der
Hierarchie so niedrig wie möglich (also möglichst nahe am eigentlichen Wertschöpfungsprozess)
gelagert sein. Ziel ist auch hier die Verbesserung der Prozesseffizienz im Sinne der
heutigen Marktanforderungen. So bedeutet beispielsweise die prozessnahe Entscheidungskompetenz
eine deutlich höhere Flexibilität der Unternehmung und den Wegfall langer und
fehleranfälliger Entscheidungswege. Gleichzeitig soll die Motivation der Mitarbeiter durch
ganzheitliche Aufgabenerfüllung erhöht und der Anreiz zu marktgerechtem Handeln verstärkt
werden.
Nicht-hierarchische Koordinationsformen zwischen Modulen: Zur Koordination von
weitgehend autonomen Organisationseinheiten kommen in letzter Zeit insbesondere
in
Großunternehmen neben der „Fremdsteuerung“ der Organisationsmitglieder durch
das
Management innerhalb der Hierarchie verstärkt auch Koordinationsmechanismen der
„Selbststeuerung“ zum Einsatz (vgl. z.B. Frese, 1995). Derartige Instrumente, wie
beispielsweise interne marktorientierte Verrechnungspreise, sollen die „invisible
hand“ des Marktes im innerbetrieblichen Leistungsaustausch wirksam werden lassen.
Hinzu treten Maßnahmen wie die Entwicklung einer ausgeprägten
Unternehmenskultur als weitere Alternativen zur hierarchischen Koordination (vgl.
z.B. Wilkens & Ouchi, 1983). Die Frage der Koordination der modularen
Organisationseinheiten im Hinblick auf die Ziele des Gesamtunternehmens stellt
hierbei das zentrale Koordinationsproblem dar.
Integration von Management, System, Organisation, Prozess und Qualität
Reorganisationskonzepte, die den beschriebenen
Grundprinzipien der Modularisierung entsprechen,
sind für alle Ebenen der Unternehmensorganisation
vorgeschlagen worden. Obwohl in ihren
Grundprinzipien ähnlich, zeichnen sich die
Modularisierungsansätze auf den verschiedenen
Ebenen durch unterschiedliche Ausrichtungen aus.
Auf der Unternehmensebene (Managementebene,
strategische Ebene) erfolgt die Modulbildung
orientiert an wettbewerbsrelevanten Oberzielen,
wie Marktnähe oder Technologieführerschaft, auf
der Prozeßebene (end-to-end-prozesse,
Prozesskette, oberste Ebene der Prozesse) an
zusammenhängenden Aufgabenketten, auf der
Ebene der Arbeitsorganisation vor allem orientiert
an den Mitarbeitern (Teilprozessverantwortliche)
und den zu ihrer Unterstützung verfügbaren IT-
Technologien. Die Abbildung (unten) gibt einen
Überblick über die vordringlichen, heute in der
Diskussion befindlichen Modularisierungsansätze
(vgl. weiterführend Picot, Reichwald & Wigand,
1996).
Die Modularisierung von Organisationen ist mit dem
jüngst in Organisationstheorie und -praxis wieder
verstärkt beachteten Prozeßdenken eng verknüpft.
Durch die nachdrückliche Ausrichtung der
Unternehmensorganisation an den kundenrelevanten
Prozessen im Zuge der Modularisierung und die
verstärkte Delegation von Entscheidungsbefugnissen
in diese kundennahen Module hinein rückt die
Marktorientierung in den Mittelpunkt der
Organisationsgestaltung. Die operative Flexibilität
des Unternehmens – z.B. im Hinblick auf neue
Kundenwünsche – wird durch Vermeidung von
Schnittstellen bei den kundenrelevanten
Prozessen, durch kurze Kommunikationswege in den
Modulen sowie durch flache Hierarchien deutlich
erhöht. Gleichzeitig bietet die modulare
Unternehmensstruktur durch die Möglichkeit eines
relativ einfachen Aufbaues bzw. Abbaues einzelner
Module auch eine hohe strukturelle
Anpassungsfähigkeit an dynamische
Marktbedingungen. Die heute erforderliche hohe
Innovationsfähigkeit im gesamten Unternehmen wird
schließlich durch die unmittelbare Marktnähe der
Module, die motivationssteigernde ganzheitliche
Aufgabenstruktur sowie durch direkte und
informelle Kommunikationsmöglichkeiten gefördert.
Doch sind der Modularisierung von Organisationen
auch Grenzen gesetzt. Sie ergeben sich
beispielsweise aus möglichen Inkompatibilitäten
unterschiedlicher Modularisierungsansätze,
aus potentiellen Zielkonflikten zwischen den
Zielsetzungen einzelner Module und den Zielen
des Gesamtunternehmens sowie aus
aufgabenbezogenen Effizienzvorteilen alternativer
Organisationsformen (vgl. auch Reichwald & Koller,
1996).
koch.management 2016